Page 105 -
P. 105

In  seinem  Brief  schreibt  er:  „In  der  Tat  liegt  das  Leben,  das  man  das  selige  nennt,
            auf hohem Gipfel, und ein schmaler Pfad, so heißt es, führt zu ihm hin. Auch viele
            Hügel ragen dazwischen auf, und von Tugend zu Tugend muss man mit erhabenen
            Schritten wandeln; auf dem Gipfel ist das Ende aller Dinge und des Weges Ziel, auf das
            unsere Pilgerreise ausgerichtet ist. […]“

            Petrarca vergleicht also seinen Aufstieg auf den Berg mit dem Leben. Verschiedene
            Anhöhen sind auf dem Weg zum Gipfel zu erklimmen. „Das selige Leben“ nennt er
            diesen Gipfel, also das sinnstiftende Leben, das glückliche, das erfüllte.

            Vielleicht  fragt  Ihr  Euch,  was  Ihr  nun  mit  dem  Wandervogel  Petrarca  und  seinem
            Aufstieg auf den Mont Ventoux zu tun habt?
            •  Nun, wir sehen, dass der Mensch ein ganzheitliches Wesen ist, voller Forscherdrang
              und  Lust  am  Erleben.  Leistung  und  physische  Verausgabung,  messbare  Erfolge,
              Neuland und das Gefühl, als erster etwas vollbracht zu haben: all dies können wir
              aus Petrarcas Brief herauslesen. Und dies können wir uns durchaus zum Vorbild
              nehmen.
            •  Nicht nur das Wandern und Bergsteigen sind Tätigkeiten, in denen man mit langem
              Atem und unter großen Anstrengungen Ziele erreichen kann. In denen man die
              eigenen Kräfte und Fähigkeiten erproben kann. In denen man Erfahrungen in der
              Selbstfindung machen kann. Das Leben selbst ist ein großer Berg, der über viele
              verschiedene Anhöhen erklommen werden will.
            •  Setzt Euch daher Ziele, die Euch auf solche Anhöhen führen, und erlangt so innere
              Unabhängigkeit und Freiheit. Ihr habt Träume, und diese Träume sollten die Hügel
              sein, über die Ihr den Berg des Lebens erklimmen wollt und so ein erfülltes Leben
              erlangen könnt!
            •  Mit jedem Schritt bergwärts, mit jeder Entscheidung, die wir auf unserem Lebensweg
              treffen, kommen wir unserer Bestimmung, uns selbst, ein Stück näher. So hat es
              auch unser Bergführer am Aconcagua ausgedrückt. Und dies müssen wir uns bei
              jeder Entscheidungsfindung bewusst machen, für die berufliche Entwicklung wie
              für den Bereich des Privaten. Alles was wir tun, hat eine Tragweite, natürlich auch für
              unsere Umgebung, vor allem aber für uns selbst. Und wir müssen uns fragen, ob es
              uns auf den nächsten Hügel oder den großen Berg führt oder doch vielleicht doch
              ins Tal hinab, und dann entsprechende Konsequenzen ziehen.
            •  Es gibt nicht immer und nur den schnurgeraden Weg zum Ziel. Manchmal müssen
              wir  –  wie  Petrarca  bei  seinem  Aufstieg  auf  den  Mont  Ventoux,  oder  wie  wir,
              wenn  wir  den  Aconcagua  besteigen  wollten  -  auf  unseren  Wegen  innehalten
              und  verschnaufen,  manchmal  einen  Schritt  zurückgehen  oder  bewusst  einen
              Umweg  wählen,  um  so  über  einen  geeigneteren  Weg  unser  selbst  gewähltes
              Ziel  zu  erreichen.  Eine  Anhöhe  kann  auch  mal  für  den  Augenblick  zu  hoch  sein,
              so dass man in diesem Fall besser die Konsequenz zieht, sein kurzfristiges Ziel zu
              korrigieren und damit zufrieden zu sein, dass man etwas Erreichbares geschafft hat.
              Es müssen nicht immer die höchsten Höhen sein, sondern Ihr solltet immer auch
              im Blick haben, welche Fähigkeiten, welches Durchhaltevermögen Ihr persönlich
              im  jeweiligen  Augenblick  besitzt.  Dabei  die  Ruhe  zu  bewahren,  mit  Bedacht  die
              nächsten  Schritte  abzuwägen,  nicht  kopflos  umherzuirren:  Ein  solches  Handeln
              bringt uns an unser Ziel.
            •  Petrarca bestieg den Berg nicht allein, nein, er hatte seinen Bruder dabei und
              zwei weitere Begleiter. Der Mensch ist nämlich ein soziales Wesen. Er geht seine
              Wege  nicht  allein,  sondern  mit  möglichst  geeigneten  Partnern  nimmt  er  sie  in
              Angriff. Dies sei Euch ebenso empfohlen. Sucht Euch anspruchsvolle Begleiter bewusst,

                                                 103
   100   101   102   103   104   105   106   107   108   109   110