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alles drunter und drüber. Die Atmosphäre im Haus war schon seit Wochen so angespannt.
                        Er hatte auch keine Ahnung, was genau los war, zumindest benahmen sie sich komisch.
                        Alle. Seine Schwester sowieso, aber das war eigentlich auch nichts Neues, nur dass seine
                        Eltern jetzt auch so durchdrehten... Irgendetwas stimmte nicht.
                           „Es muss etwas mit Oma zu tun haben“, dachte er, während er in den Keller ging. „Aber
                        was?“ Er schaltete das Licht an und setzte sich ans Schlagzeug. Das war das einzige, bei
                        dem er richtig abschalten und nachdenken konnte. Eigentlich hatte alles angefangen, als
                        Mama und Papa eröffnet hatten, dass Oma bei ihnen einziehen würde. Er erinnerte sich
                        noch gut an den Abend vor zwei Wochen.

                           Katja und er waren gerade erst aus der Schule gekommen und Papa war schon zu Hause,
                        weil Freitag war. Die Mutter winkte sie zu sich in die Küche; sie müssten reden miteinander.
                        Sie hatten sich alle an den Tisch gesetzt. Nach einer Weile hatte Vater das Wort ergriffen:
                        „Von jetzt an wird sich hier einiges ändern.“ Er hatte Mutter einen Seitenblick zugeworfen,
                        den sie nicht erwidert hatte. „Ihr wisst, dass Oma Betty sehr krank ist. Und jetzt ist einfach
                        endgültig der Zeitpunkt gekommen, an dem sie nicht mehr leugnen kann, dass sie nicht
                        mehr für sich alleine sorgen kann. Da ich ihr einziger Sohn bin, ist es meine Pflicht, sie
                        aufzunehmen.“
                           Alex war fast schlecht geworden bei diesem heuchlerischen Gerede. Sein Vater war
                        manchmal ein richtiges Arschloch. „Hoffentlich behandeln meine Kinder mich später mal
                        nicht so“, hatte er gedacht. Doch er hatte nichts erwidert und seine Eltern nur angeblickt.
                        Auch Katja hatte stumm auf eine weitere Reaktion gewartet. „Ein Altersheim ist nun mal zu
                        teuer“, hatte die Mutter entschuldigend gesagt.
                           „Herrgott, was ist denn eigentlich los?? Ist sie denn so ein Drachen oder was? Ist sie
                        geistesgestört und unberechenbar? Ich hab sie ja seit Jahren nicht gesehen, aber ich finde, wenn
                        sie bei uns wohnen wird, dann solltet ihr uns langsam mal aufklären! , hatte sich Alex geärgert.
                           „Nein, sie ist nicht geistesgestört.“, hatte Vater geantwortet. Alex hatte ihn abwartend
                        angeblickt, aber der Vater schien keine nähere Erklärung abgeben zu wollen. Das Thema
                        war für ihn beendet gewesen. „Sie wird übrigens in deinem Zimmer wohnen, Alex. Du bleibst
                        für die Zeit im Keller.“ Dann, nach einer Pause: „Du brauchst nicht deine ganzen Sachen
                        runterzuräumen; ich glaub nicht, dass sich das lohnt.“ Damit war er aufgestanden und zur
                        Tür gegangen. „Sie wird in 2 Wochen kommen. Bereitet euch darauf vor.“

                           Alex dachte während des Spielens die ganze Zeit an dieses Gespräch. Es war seltsam:
                        Nur bei dem Krach, den dieses Instrument machte, konnte er in Ruhe nachdenken. Meistens
                        fand er sogar die Lösung zu manchem seiner Probleme. Das Einzige, was die Ruhe störte,
                        war die durchdringende Stimme seiner Mutter: „Alex!! Lass das Ding in Ruhe und komm
                        hoch! Oma ist da.“
                           Alex seufzte und stand auf. Irgendwie war er gespannt. Als er nach oben kam, trug Papa
                        gerade die Koffer herein. Hinter ihm stand Oma. Zumindest vermutete das Alex, denn er
                        konnte nur den oberen Teil eines riesigen Hutes sehen. Nachdem Papa an ihm vorbeigegangen
                        war, stand Alex vor einer kleinen, zierlichen Frau in einem eleganten Kostüm. „Es stimmt;
                        sie ist schon sehr alt, auch die Schminke kann darüber nicht hinwegtäuschen, aber
                        trotzdem....irgendwie flößt sie Respekt ein. So wie sie da steht und die Mutter ohne ein Wort



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