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nichts von meiner Geschichte; auch als er Daniela kennen lernte, sagte ich ihm nichts davon,
obwohl ich gerade wegen meiner Vergangenheit sehr gegen diese Beziehung war. Meiner
Meinung nach waren die beiden noch viel zu jung und sollten erst mal ihr eigenes Leben
leben. Sie wollten davon nichts wissen und es gab einen fürchterlichen Krach, woraufhin
dein Vater bei mir auszog. Als sie heirateten, war deine Mutter erst 17. Ich fand es schlimm
damals, aber entgegen meiner Erwartungen sind sie immer noch glücklich verheiratet. Ich
bin mir heute sicher, dass wir beide einen Fehler gemacht haben. Ich hätte nicht von mir
auf andere schließlich dürfen und meinem Sohn soweit vertrauen müssen, ihm die Wahrheit
zu sagen. Doch heute ist es dafür zu spät.- Ich kann sogar verstehen, dass die Beiden, vor
allem deine Mutter, mich nicht mögen.“
„Nein, dafür ist es nicht zu spät!“, meinte Alex. „Ihr könnt euch immer noch vertragen“
„Nein, das können wir nicht. Dazu sind zu viele schlimme Sachen gesagt worden. Aber
ich bin froh, dass, wenn ich sterbe, wenigstens einer die Wahrheit kennt.“
Daran denkt Alex jetzt, während er im Regen steht. Seine Familie wendet sich schon
zum Gehen. „Komm Alex!“, meint die Mutter „lass uns nach Hause gehen!“
„Einen Moment noch, ich komme gleich nach.“
Mutter zuckt die Schultern und los.
„Aber bleib nicht zu lange, ja? Wir warten auf dich“, sagt sie.
Nein, das wird er nicht, er will einfach nur noch einen Augenblick mir ihr alleine sein.
Manchmal ist das Leben echt unfair. Er hasst es, wenn Dinge nicht geklärt werden. Aber
vielleicht ist es auch besser so. Er seufzt und dreht sich um. Gerade als er zum Tor hinaus
will, sieht er einen alten Mann in einiger Entfernung stehen. Jetzt geht er langsam zum Grab
und Alex sieht ihn deutlicher. Seine Haare sind fast weiß, so alt ist er schon, und er trägt
sie trotzdem lang. Sie wehen ihm ins Gesicht, als er vor dem Grab stehen bleibt und Alex
ihn nicht mehr sehen kann. Alex geht langsam weiter.
„Na ja, manche Dinge klären sich eben doch“, denkt er und grinst.
Julia FROESE - 2B
Erinnerung
Es war eine helle, wolkenlose Nacht. Der Mond schien über die Bäume wie eine Laterne.
Sternklarer Himmel. Frau Lohmann ging in den Keller. Sie war schon seit zwanzig Jahren
Witwe. Ihr Ehemann war bei einem Autounfall gestorben. Sie hatte all die Jahre nur schlecht
ertragen können allein zu sein, deswegen hatten die Sachen ihres Mannes noch immer ganz
unordentlich und voller Staub im Haus herum gelegen. Ihr Sohn, Stefan, hatte vor zwei
Monaten die Eigentümer seines Vaters in den Keller gebracht.
„Komm schon, Mama. Seit zwanzig Jahren ist Vater schon tot. Ich kann das auch kaum
glauben. Ich hatte ihn nämlich auch sehr lieb, aber wenn du alles hier liegen lässt, wirst du
keinen Platz für dich haben. Du brauchst deine Ruhe“, sagte Stefan.
„Ist schon gut, ist schon gut. Ich verstehe. Vielleicht hast du Recht“, erwiderte sie.
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