Page 52 -
P. 52
dieser Dialog erfunden, aber er ist sehr real und vielleicht in ähnlicher Weise bei euch
selbst gelaufen. Da gibt es also noch etwas, das über das Grundlagenwissen, über die
wissenschaftliche Ausbildung hinausgeht und das dich für diesen Beruf eher prädestiniert
als für jenen.
Es ist für Sie alle sicherlich interessant zu wissen, dass sich ab dem nächsten Schuljahr
ein Lehrer der Goethe-Schule genau für diese Problematik helfend zu den Schülern stellen
wird. Als Studien- und Berufsberater wird er nicht nur über Numerus Clausus, Studien-
bedingungen und sonstiges Organisatorische informieren, sondern auch über die Arbeits-
bedingungen, über detaillierte Berufsbeschreibungen und über Stipendienmöglichkeiten.
Zudem wird er helfen, wenn überhaupt Interessensprofile erstellt werden müssen, um den
Schülern Alternativen aufzuzeigen bei vielleicht zu eingefahrenen Wegen. Ich bin sehr froh,
dass wir dieses den Schülern bieten können, denn es zeigt sich hier wie auch in Deutschland,
dass auf diesem Gebiet ein großer Nachholbedarf liegt.
Lassen Sie mich aber nun den Faden von vorhin wieder aufgreifen, wo ich sagte, dass
neben allem Sach- und Fachwissen auch noch andere Qualitäten und Fähigkeiten gefordert
werden. Das alles ist euch bekannt und ihr wisst auch um die Bedeutung dieser Fähigkeiten.
Diese Erkenntnis aber setzt euch wiederum in Zugzwang, macht euch unsicher, schreckt
euch vielleicht ab, denn wie sollt ihr wissen, wie ihr seid, wenn ihr diese Situation noch
nicht erlebt habt? Ihr werdet verunsichert auch durch Aussagen, die über die Berufe gemacht
werden. Wer hat nicht schon folgendes gehört:
„In der Berufswelt wird gefightet, dort wird mit harten Bandagen gekämpft.“ Der Ausdruck
stammt aus der Boxersprache, ich muss ihn nicht kommentieren. Oder: „Wir leben in einer
Ellbogen-Gesellschaft. Wenn du deine Ellbogen nicht einsetzt, geht es nicht vorwärts und
du wirst von den anderen rausgeschuppst.“ – Bedarf auch keines Kommentars.
Ich will keine weiteren Beispiele anführend, es gäbe sie noch zu Hauf. Ich will euch
damit auch nicht erschrecken, denn ich weiss aus Erfahrung, dass sich bisher alle, die in
Abiturfeiern so vor mir saßen, wie ihr heute, glänzend auf diese neuen Bedingungen eingestellt
haben. Denn wenn auch das Berufsleben hart ist, dann heißt das nicht, dass es unfair oder
ungerecht sein muss. Weil das so ist, möchte ich eine Charaktereigenschaft ansprechen, die
für diese im Beruf notwendige Fairness so unerläßlich ist, die in der Gesellschaft aller Völker
eine dominierende Position einnimmt und die echte, große Menschen auszeichnet. Und ich
möchte damit die Hoffnung ausdrücken, dass in den 13 Jahren eurer Schulbildung an der
Goethe-Schule auch die Institution Schule mitgeholfen hat, diese Charaktereigenschaft in
euch zu wecken und zu fördern um sie zu einer eigenen positiven Kraft werden zu lassen.
Ich denke an Zivilcourage und Aufrichtigkeit, von der der englische Schriftsteller William
Somerset Maugham (1884-1965) sagte: „Aufrichtigkeit ist wahrscheinlich die verwegenste
Form der Tapferkeit.“
Wie wahr und wie unverzichtbar:
Wenn im Beruf wieder einmal wirtschaftliche Werte über die Werte der Sozialgemeinschaft
50