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auch die Vereinigten Staaten, er durchquerte die Weiten des russischen Sibiriens, und
hätte er die Möglichkeit dazu gehabt, hätte er sicherlich noch ganz andere Strapazen
auf sich genommen.
Alexander von Humboldt war ein begeisterter Forscher, der alles, was ihm in die
Finger kam, sammelte und untersuchte, analysierte und deutete, beschrieb und in
Zusammenhänge stellte, die vor ihm nicht gesehen worden waren. Und er schrieb ein
fünfbändiges Werk, in dem er – grandios erfolgreich – am Ende seines Lebens alles
zusammenfasste, was er erlebt, gelesen, mit Hilfe seiner nationalen wie internationalen
Zuarbeiter gesammelt und in eine beeindruckende Ordnung gebracht hatte. Er
verband die Naturwissenschaften mit Darstellung und Dichtkunst, mit Malerei und
Landwirtschaft, mit Politik und Empfindung; und er beeinflusste auch so berühmte
Denker und Dichter wie Ralph Waldo Emerson, Walt Whitman und Edgar Allen Poe mit
seinem Schaffen.
Schließlich fand er große Nachfolger auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, die –
rein metaphorisch gesprochen - auf seinen Schultern standen und ihn benötigten, um
Erkenntnisse zu gewinnen, die ohne seine Vorarbeit und ohne sein Vordenken nicht
möglich gewesen wären. Zu nennen wäre hier zuvorderst Charles Darwin, ein junger
Mann, der Humboldts Werk über dessen Reisen durch Lateinamerika gelesen hat und
dann alle Hebel in Bewegung setzte, bis er nach einigen Monaten in der Lage war,
seine Reise auf der „Beagle“ anzutreten, quer über die Weltmeere zu segeln und die
Erkenntnisse zu sammeln, die ihn zu einem der bedeutendsten Naturwissenschaftler
der Geschichte machten.
Ich möchte hier abbrechen, obwohl es ein leichtes wäre, diese Aufzählung von Humboldts
Wirken fortzusetzen. Aber Ihr erkennt sicherlich schon, wie sich der Vorbildcharakter, den
eine Persönlichkeit wie Alexander von Humboldt auf Menschen jeden Alters, besonders
aber auf Menschen Eurer Lebensstufe ausüben kann, in zahlreichen Facetten zeigt – ich
hoffe zumindest, dass sie dies tut. Ich möchte hier noch einmal einige dieser Facetten
ganz konkret herausgreifen:
• Humboldt setzte seinen Berufswunsch, nämlich Naturforscher zu werden, gegen
seine überaus strenge Mutter durch. Und er tat dies mit Energie, der nötigen
Kompromissbereitschaft, aber immer mit einem langen Atem, der ihm schließlich das
ermöglichte, was er immer hatte tun wollen. So erprobte er die eigenen Kräfte und
Fähigkeiten, er machte seine eigenen Erfahrungen, und er fand sich selbst. Er löste
sich von der mütterlichen Autorität und strebte nach Unabhängigkeit, nach Freiheit. All
dies ist geglückt, war gar über alle Maßen erfolgreich und hat somit ein erfülltes Leben
ermöglicht.
• Humboldts Streben nach der Erkenntnis, und zwar Erkenntnis in alle möglichen
Richtungen, war (fast) ohne Grenzen. Entsprechend der uralten menschlichen
Sehnsucht, es den Vögeln im freien Flug durch die Lüfte gleichzutun, machte er sich
auf den Weg zu erkunden, was zu erkunden war. Die Neugier auf die Welt trieb ihn
durch diese Welt, er wurde ein früher Globetrotter, wenn auch nicht um des Reisens an
sich willen, sondern um seine wissenschaftliche Neugier zu befriedigen. Könnt Ihr Euch
vorstellen, wie das gewesen sein muss in Zeiten, in denen das Reisen so unheimlich viel
schwerer, mühsamer war, als es das heute ist?
• Humboldt hatte Interesse an allem und zog Verbindungen zwischen Phänomenen,
deren Verbindungen den meisten seiner Zeitgenossen völlig abwegig erschienen. Er
setzte sich dafür über den Zeitgeist hinweg und bewegte sich außerhalb gewohnter
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