Die Belgrano-Schule in Buenos Aires – W. Keiper


Die Belgranoschule in Buenos Aires

Dr. Prof. Wilhelm Keiper

Die jetzige Belgrano-Schule ist aus zwei Wurzeln entsprungen: der “Deutschen Höheren Knabenschule Belgrano“ und der “Deutschen Höheren Mädchenschule“ von Fräulein Marie Liebau. Fräulein Liebau kam im Jahre 1889 nach Argentinien und übernahm im Jahre 1890 in der Familie Dörtzenbach in Belgrano einige Privatstunden für junge Mädchen. Allmählich fanden sich mehr Schülerinnen dazu, und so wurde im Jahre 1895 eine kleine Mädchenschule mit zweiundzwanzig Schülerinnen und drei Lehrerinnen eröffnet und von der argentinischen Schulbehörde als Privatschule anerkannt. Seit dem Jahre 1897 war sie in einem Mietshaus mit Garten und Spielplatz an der Ecke der Strassen Pampa und Amenabar untergebracht. Sie wuchs im Laufe der Jahre zu einer neunklassigen höheren Mädchenschule nach preussischem Lehrplan heran, die beim Ausscheiden von Frl. Liebau gegen zweihundert Schülerinnen zählte, und an der ausser der Vorsteherin elf Damen und drei Herren als Lehrkräfte tätig waren.

Fräulein Liebau verstand es, ihre Schule mit dem ihr eigenem Geiste einer pflichtgetreuen und schaffungsfreudigen Persönlichkeit zu erfüllen; die Schule genoss in deutschen und argentinischen Kreisen hohe Achtung. Hunderte von deutschen Mädchen sind in den neunzehn Jahren, da sie der Schule Vorstand, durch ihre treusorgende Obhut gegangen; sie war eine wahrhafte Mutter für die ihr an vertraute Kinderschar, und ihr Tun und Wirken lebt noch heute bei ihren einstigen Schülerinnen, die nun selbst längst Mütter sind, in dankbarster Erinnerung.

Ein Jahr nach Eröffnung der Liebauschen Schule, im Dezember 1896, wurde auf Anregung des Herrn Christian Hansen und anderer in Belgrano ansässiger Herren ein «Deutscher Schulverein» zur Gründung und Unterhaltung einer «Deutschen Höheren Knabenschule» ins Leben gerufen. Zwei Monate später, am 15. Februar 1897, wurde die Schule mit zwölf Schülern unter Leitung des Herrn K.F. Mayer eröffnet.

Die «Deutsche Höhere Knabenschule» war mit der Absicht gegründet worden, eine deutsche Schule zu sein, wie sie im Ausland allein möglich ist: eine Anstalt, die ihre Zöglinge zu tüchtigen Bürgern ihres neuen Heimatlandes heranziehen, aber ihnen zugleich deutschen Geist und deutsche Erziehung als feste Grundlage ihrer künftigen Lebensgestaltung vermitteln sollte.

Das Lehrziel war gleich anfangs hoch gesteckt: man dachte daran, ein Realgymnasium nach deutschem Muster aufzubauen, weil diese Mischgattung unter den mannigfaltigen Arten der deutschen höheren Schulen eine vermittelnde Stellung einnahm, und man hoffte, trotz der anfangs so geringen Schülerzahl dieses Ziel allmählich zu erreichen.

Die Notwendigkeit, in Belgrano eine neue deutsche Schule zu gründen, wurde damals lebhaft erörtert. In Buenos Aires, das bereits die erste Million Einwohner erreicht hatte, war das Deutschtum über den übermässig weiten Kreis der Hauptstadt zerstreut. Die Hauptmasse wohnte damals noch in der eigentlichen Stadt Buenos Aires, doch nahm die Zahl derer, die sich bei der wachsenden Geschäftsausdehnung der Hauptstadt in den nachstellenden Vororten ansiedelten, dauernd zu. Für die Erziehung deutscher Kinder bestanden aber Im Jahre 1897 nur zwei Schulen: die Evangelische Gemeindeschule inmitten der Stadt, die schon im Jahre 1843 gegründet, auf dem Wege war, sich zu einer Realschule zu entwickeln, und im südlichen Vorort von Buenos Aires, Barracas al Norte, eine deutsche Volksschule, die im Jahre 1893 eröffnet worden war.

Der nördliche am La Plata-Strom gelegene Vorort Belgrano, früher wegen der schlechten Wasserverhältnisse als ungesund wenig geschätzt, hatte sich in den letzten Jahren, nachdem Wasserleitung und Kanalisation eingeführt waren, rasch zu einem bevorzugten Wohnort wohlhabenderer Familien entwickelt, die sich aus dem lauten Getriebe der Grossstadt in die Stille eines gartenartigen Villenviertels zurückziehen wollten. Belgrano war zwar von der Hauptstadt aus durch zwei Vorortbahnen in etwa 20 Minuten zu erreichen, hatte aber sonst nur eine Pferdebahnverbindung von etwa einer Stunde bis zur Gemeindeschule. Der Wunsch der immer zahlreicher in Belgrano sich ansiedelnden Deutschen, eine eigene Schule zu besitzen, die vor allem den Jüngeren Kindern bequemer wäre, war daher wohl berechtigt. Der Erfolg hat Jedenfalls den beherzten Männern recht gegeben, die sich zur Gründung dieser Schule entschlossen.

Die Form der Lehranstalt hat freilich im Laufe der Jahre gewechselt. Aus dem geplanten Realgymnasium wurde zunächst im Jahre 1903 ein Reformreal-Gymnasium im Aufbau und sodann vom Jahre 1911 ab eine Realschule, eine Schulart, die den Bedürfnissen deutscher Auslandschulen entschieden besser entspricht, als eine Anstalt mit Lateinunterricht.

Schon in den ersten zehn Jahren war die Schule soweit ausgebaut, dass sie ihr nächstes Ziel: die Abschlussprüfung der Untersekunda erreicht hatte. Im Jahre 1906 konnte sie unter dem Vorsitz des damaligen deutschen Gesandten, Herrn von Waldthausen, als erste Überseeschule, an der diese Prüfung stattgefunden hat, wie der Jahresbericht mit Genugtuung feststellt, die “Prüfung über die wissenschaftliche Befähigung zum Einjährig – Freiwilligen – Militärdienst“ abhalten, die von den sämtlichen daran teilnehmenden Schülern (5) mit Erfolg bestanden wurde, im Jahre darauf erhielt sie die amtliche Anerkennung als deutsche Realschule.

Der ursprüngliche Plan, die Anstalt bis zur Oberprima, also bis zum Anschluss an die deutsche Universität weiter zu entwickeln, wurde indessen nicht fallen gelassen. Noch ehe die Anstalt die erste Abschlussprüfung abhielt, war im Jahre 1904 versuchsweise eine Obersekunda mit beschränkter Stundenzahl eingerichtet worden, die sich mit Unterbrechungen bis zum Jahre 1909 hielt. Zeitweilig (im Jahre 1907) bestand sogar eine Unterprima. Bei der geringen Zahl von Schülern, die sich damals für die Klassen fanden und bei den unverhältnismässig hohen Kosten, die der Oberbau verursachte, liess sich jedoch dieser erste Versuch auf die Dauer nicht durchführen. So entschloss man sich bei der Umwandlung der Schule in eine Realanstalt, das Ziel zunächst wieder niedriger zu stecken. Erst In den Kriegsjahren wurde ein neuer Ansatz für den Ausbau der Schule zu einer Vollanstalt gemacht, diesmal mit dauerndem Erfolg. Der Lehrplan der Anstalt halte, wie aus dem Vorher gesagten begreiflich ist, dem wechselnden Schulziele gemäss mancherlei Schwankungen durchgemacht. Erst seit dem Jahre 1911, als das Ziel: Entwicklung der Schule zu einer Oberrealschule endgültig festgesetzt war, kam auch hier die wünschenswerte Stetigkeit. Es ist das Verdienst des damaligen Direktors Dr. Hermann Bock, im Einvernehmen mit dem Vorstand und unter gewissenhafter Mitarbeit des Lehrkörpers einen klaren Lehrplan mit sorgfältiger Stoff-Verteilung ausgearbeitet zu haben, der in den nächsten zehn Jahren die feste Grundlage für die gedeihliche Entwicklung der Belgrano-Schule gebildet hat. Nur der Fachmann kann es recht schätzen, wieviel gründliche methodische Arbeit in den leitenden Gedanken des Lehrplans, in den allgemeinen Anweisungen für die verschiedenen Lehrfächer und in der Anordnung des Lehrstoffs der einzelnen Klassen steckt. Dass diese Arbeit durch den vom damaligen Rektor der Deutschen Schule in Rosario Herrn Dr. R. Gabert im Jahre 1907 zusammengestellten Lehrplan wesentlich erleichtert und gefördert wurde, «ein Büchlein, dessen Lektüre allen denen, die für deutsche Auslandschulen Interesse haben, gar nicht genug empfohlen werden kann» (Vorrede zum Lehrplan der Belgrano-Schule), soll auch hier ausdrücklich anerkannt werden.

Ich kann mir nicht versagen, die Hauptausführungen des Vorworts «Was unsere Schule will», hierher zu setzen. Sie bilden noch heute die Richtschnur für die Bestrebungen der Belgrano-Schule, wie sie für jede deutsche Auslandschule beherzigenswert sind:

Wie jede deutsche Auslandschule, setzt auch die Belgrano-Schule ihre Ehre darein, den deutschen Charakter zu wahren, das heisst, sie erkennt es als ihre vorzüglichste Aufgabe an, ihren Schülern im grossen und ganzen denselben Bildungsstoff zu übermitteln wie eine der ihr entsprechenden Schulen Deutschlands, damit der Zusammenhang der Schüler mit der geistigen Heimat gewahrt bleibt. Die Kinder aber, die unsere Schule besuchen, sind zu etwa 75% nach dem argentinischen Landesgesetz Argentinier. In Argentinien geboren und aufwachsend, werden sie voraussichtlich zum weitaus grössten Teil in Argentinien bleiben und dereinst wirken. Infolge dessen fällt der Schule naturgemäss als zweite Aufgabe die zu, ihre Schüler so vorzubereiten, dass sie in ihrem Geburtslande gut vorankommen und dereinst als tüchtige Bürger zu dessen Entwicklung mit ihren besten Kräften beitragen können, was wiederum zur notwendigen Folge hat, dass in den Unterrichtsplan mehrere über den Rahmen des von einer rein deutschen Schule zu Leistenden hinausgehende Unterrichtsgebiete aufgenommen werden müssen, unter denen den ersten Platz die spanische Sprache einnimmt. Dem Spanischen gleichsam als zweiter Muttersprache hat die Schule einen dem Deutschen ebenbürtigen Platz einzuräumen und die Schüler in ihrem mündlichen und schriftlichen Gebrauche ebenso fertig zu machen, wie in dem des Deutschen. Ist aber diese Pflicht einmal anerkannt, so stellt sich sofort als weitere die ein, dem Schüler auch zu einem tieferen Verständnis der besonderen geographischen und geschichtlichen Verhältnisse seiner zweiten Heimat zu verhelfen, ganz abgesehen davon, dass die argentinische Regierung durch ein besonderes Gesetz den hiesigen Schulen fremder Nationen diese Verpflichtung auferlegt.

Ferner ist die sprachliche Vorbildung der Schüler, namentlich in den unteren Klassen, sehr verschieden und oft recht mangelhaft. Ausser Kindern, die von Haus aus nur Deutsch sprechen, besuchen die Schule auch solche, die daheim nur Spanisch hören, und nur diese Sprache sprechen und endlich solche, die weder Spanisch noch Deutsch können. Söhne von englischen oder französischen Eltern usw. Ihnen allen soll der Unterricht gerecht werden. Sodann besitzen die Kinder infolge der geographischen und klimatischen Besonderheit Argentiniens eine grosse Zahl von Anschauungen nicht, die zusammen mit den sie begleitenden Gefühlsmomenten in der deutschen Sprache und Poesie eine wesentliche Rolle spielen. Sie kennen meist nicht den Wald und seine Poesie, nicht die Wiese mit ihren Blumen, nicht Berg und Tal, nicht den plätschernden Bach, die alte Dorfkirche, die Burgruine mit ihrem Zauber, nicht den Winter und seine Lust u.a.m. All diese Begriffe müssen ihnen mühsam beigebracht werden durch Wort und Bild, und der Anschauungsunterricht wird infolgedessen in den unteren Klassen eine bedeutende Rolle spielen müssen.

Endlich sind nicht zu vergessen all die geheimen «Miterzieher», die hier zu Lande das Werden und Wachsen der Kinder, meist in einem den besten deutschen Eigenschaften nicht günstigen Sinne beeinflussen. Wir befinden uns in einem noch ganz jungen Lande, wo noch alles im Fluss und Werden ist, und tausend verschiedenartige Kräfte sich kreuzen, wo noch kein fester, zuverlässiger Niederschlag von guten Sitten und Gewohnheiten sich gebildet hat, wo infolgedessen der Einzelne viel mehr auf sich selbst angewiesen ist, als in einem Lande aller Kultur. Das eröffnet zwar neue Möglichkeiten, schliesst aber doch auch für den Einzelnen grosse Gefahren in sich. Ausserhalb von Schule und Haus, auf der Strasse, beim Spiel mit nicht deutschen Kameraden, im Verkehr mit den Dienstboten sieht und lernt das Kind vieles, was guter deutscher Sitte zuwider ist und nicht nur die fremden Unsitten nimmt der Knabe leicht an, sondern, losgelöst von dem soliden festen Herkommen der deutschen Heimat, verfällt er inmitten dieser ganz auf materiellen Gewinn gestellten Welt leicht einen öden Egoismus, der nichts weiss von den idealen Mächten des menschlichen Lebens, der nicht um eines höheren Zweckes willen andern sich unterzuordnen versteht Deutsche Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit und die Fähigkeit, etwas rein um der Sache willen, ohne selbstsüchtige Nebenzwecke zu tun, gehen darüber leicht verloren. All das übt auf das Schulleben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss aus und erweitert seine Aufgaben wesentlich, wenn auch auf der anderen Seite zugegeben werden muss, dass die hier zu Lande aufwachsenden deutschen Kinder manche Eigenschaften besitzen, die dem Pädagogen seine Aufgaben erleichtern. Die Kinder haben zum grössten Teil schon weite Reisen gemacht, die ihren Gesichtskreis bedeutend erweitert haben; sie bringen zumeist eine rege Fassungsgabe und lebendiges Verständnis für menschliche wie für technische und sprachliche Dinge mit, so dass ihnen gewisse Stoffgebiete in kürzerer Zeit vermittelt werden können, als Kindern des deutschen Binnenlandes.»

In den nun folgenden zehn Jahren ist die Lehrverfassung der Schule im wesentlichen erhalten und im Unterricht durchgeprobt worden. Zwar wurden auch in dieser Zeit schon Stimmen laut, die einen engeren Anschluss an das Landesschulsystem befürworteten, da aber die Zahl der Schüler, die auf argentinische Staatsschulen übergehen wollten, verhältnismässig gering war, ist kein zwingender Grund vor, den bewährten Lehrplan zu ändern. Erst als der Weltkrieg sich zu Ende neigte, im Jahre 1918, meldeten sich diese Wünsche mit zunehmender Stärke an. Der Vorstand sah sich daher veranlasst, zu dieser wichtigen Frage, die schliesslich zu einer Lebensfrage der deutschen Schulen in Argentinien, besonders in Buenos Aires, wurde Stellung zu nehmen. Es geschah ganz im Sinne der bisherigen Einrichtungen.

Der Jahresbericht über das Schuljahr 1918 schildert in klarer Weise das Verfahren, wie es den damaligen Bedürfnissen entsprach:

Für Schüler, die unsere Untertertia besuchen und am Jahresschluss oder später in nationale Schulen übertreten wollen, ist ein Vorbereitungskurs für das “Examen de 6° grado“ eingerichtet, dessen Ablegung zum Eintritt in den 1. Jahreskurs der höheren Schulen berechtigt. Die betreffenden Schüler werden von uns im November jeden Jahres als “estudiantes libres“ beim Consejo Nacional de Educación angemeldet, der sie dann zur Prüfung an hiesigen Schulen überweist. Die Schüler, die das Examen de 6° grado bestehen, können dann entweder gleich in ein Nationalkolleg eintreten, sie können aber auch in unserer Schule bleiben und ev. auf dieselbe Weise am Ende der beiden nächsten Jahre je ein weiteres Examen (primer und segundo año) ablegen, so dass ihnen nach Bestehen unserer Schlussprüfung nur noch drei Kurse des Nationalkollegs durchzumachen übrig bleiben, die sich bei entsprechendem Fleiss schon in 2 (statt 3) Jahren erledigen lassen. Für die Vorbereitung auf jene beiden weiteren Examina (1° und 2° año) gibt die Schule wesentliche Hilfen, richtet auch, sowie es sich um mehrere Schüler handelt, einen Vorbereitungskurs ein. Ein Teil der Arbeit muss jedoch dem Privatfleiss überlassen bleiben.

Man muss zugeben, dass diese Auffassung durchaus den damaligen Verhältnissen an der Belgrano-Schule Rechnung trug. Solange die abgehenden Schüler sich fast ausschliesslich den wirtschaftlichen Berufen, vorwiegend dem kaufmännischen, zuwandten, musste die Schule ihnen neben der guten allgemeinen Ausbildung eine möglichst gediegene Vorbereitung für das praktische Leben mitgeben, vor allem also in den neueren Sprachen – Englisch und Französisch -, in Rechnen und Mathematik. Dass dabei die Landesprache, das Spanische, etwas zu kurz kam, schien nicht so schwerwiegend; man konnte darauf vertrauen, dass, wie die Erfahrung zeigte, dieser Mangel in der Praxis schnell beseitigt würde. Eine gründliche Einführung in die argentinische Kultur und Landeskunde wurde nicht erstrebt. So lagen die Dinge in der Zeit kurz vor dem Weltkriege und noch während des Krieges selbst, also in den zehn Jahren, wo Dr. Reinhold Gabert die Anstalt leitete; doch kündigten sich die Anzeichen einer neuen Zeit mit anderen Bedürfnissen schon gegen Ende des Krieges und noch deutlicher in den gleich darauf folgenden Jahren an.

Die äussere Entwicklung der Schule seit ihrer Gründung zeugte von einem stetigen und ruhigen Fortschritt.

Mit zwei Zimmern im «Deutschen Verein Belgrano», Cuba 2410, begann sie im Jahre 1897 ihre Tätigkeit, aber schon Ende des Jahres 1898 bezog sie, der wachsenden Schülerzahl entsprechend, ein etwas geräumigeres Mietshaus, Cabildo 1891, das ihr über acht Jahre eine immer enger werdende Heimstätte bot.

Inzwischen war die Zahl der Schüler und Lehrer ständig gewachsen. Im Schuljahr 1904 war das erste Hundert der Schüler erreicht, die von zwölf Lehrern einschliesslich des Direktors unterrichtet wurden. Die Anstalt war, wie schon erwähnt, bis zur Obersekunda eines Reform-Realgymnasiums ausgebaut, wenn auch die Oberklassen nur schwach besetzt waren, und der Unterricht in ihnen mehr einem Privat-, als einem öffentlichen Unterricht glich. Auch die Liebausche Schule war inzwischen auf über hundert Schülerinnen herangewachsen und bedurfte dringend eines grösseren Schulgebäudes.

So ergab sich immer gebieterischer die Notwendigkeit, für beide Anstalten ein eigenes Grundstück zu erwerben und darauf ein Schulgebäude zu errichten, das ihnen für ihre weitere Entwicklung genügend Raum bot.

Auch an diese in jener Zeit sehr gewagte Aufgabe ging der damalige Vorstand, unter Führung seines Vorsitzenden, Herrn Christian Hansen und der besonders tatkräftigen Mitarbeit des Herrn August Parcus mit frischem Wagemut heran. Gleich auf die erste Aufforderung hin werden von achtundzwanzig Herren der deutschen Kolonie, vornehmlich in Belgrano, 44.500 $ m/n. für den Erwerb eines Grundstückes gezeichnet und am 15. November 1904 kaufte das zu diesem Zweck gebildete Konsortium zu dem Preis von 45.450,10 $ m/n, ein 5.155 Quadratmeter grosses Grundstück in bester Lage von Belgrano an der Ecke der Strassen Virreyes (jetzt Jose Hernandez) und Cuba und stellte es dem Vorstand zum Kostenpreis zur Verfügung.

Weitere Mittel wurden durch Geschenke und neue Zeichnungen aufgebracht, sodass sich der Baufonds Ende 1905 auf über 58.000 $ m/n. belief. Durch eine ausserordentliche Generalversammlung wurde der Vorstand ermächtigt, eine Hypothek für den Bau aufzunehmen, und so schritt man schon im Jahre 1906 zur Ausführung. Am 17. Juni dieses Jahres wurde der Grundstein für die Gebäude der beiden Schulen gelegt.

Die Urkunde, die in ihnen niedergelegt wurde, schloss mit den Worten: «Alle, Vorstand. Lehrerkollegium und Schüler, sind einig in dem Wunsche, das neue Gebäude möge eine geräumige und gesunde Pflanzstätte deutscher Erziehung und Bildung werden zum Wohl und zur Ehre der deutschen Kolonie von Buenos Aires und des schönen Argentiniens. Das walte Gott!»

Dank der rührigen Tätigkeit des Vorstandes und der Baumeister und dank der bereitwilligen Mithilfe der Deutschen in Buenos Aires, unter denen sich besonders Herr Curt Berger, wie auch späterhin, als eifriger Förderer der Schule erwies, konnten beide Schulen, zunächst noch unter getrennter Leitung, schon am 15. Februar 1907, dem zehnjährigen Gründungstage. der Höheren Knabenschule, ihre Tätigkeit in dem neuen Heim beginnen. Die beiden Seitengebäude waren fertiggestellt, der verbindende Mittelbau konnte nur z.T. ausgeführt werden, und diente zum Unterbringen eines Gesangsaales und der physikalischen und chemischen Sammlungs- und Unterrichtsräume. Auch von dem Bau der geplanten grossen Fest- und Turnhalle, die sich an den Mittelbau anschliessen und die ganze Tiefe des Grundstücks ausfüllen sollte, musste wegen der grossen finanziellen Anforderungen des Baues zunächst noch abgesehen werden. Was fertig gestellt war, luftige, helle und geräumige Gebäude mit zwei freundlichen Schulhöfen und weiten Wandelgängen, gab für absehbare Zeit der Entwicklung der beiden Schulen ausreichenden Raum. Der bis dahin vollendete Gesamtbau hatte 103.000 $ m/n. gekostet.

Der Vorstand durfte mit dem fürs erste Erreichten zufrieden sein. Mit Recht konnte er im Jahresbericht 1907 aussprechen: “Wir stehen am Abschluss einer bedeutsamen Arbeitsperiode. Nur der Vorstand, der die ganze Entwicklung des Bauprojekts, die Schaffung der nötigen Kapitalien, den Kauf des Grundstücks, den Bau des Schulhauses in allen Phasen zu beobachten Gelegenheit hatte, all die Hindernisse und Schwierigkeiten kennen lernte, kann so recht beurteilen, wie viel Dank der Schulverein den wenigen Männer schuldet, die durch ihre Unverdrossenheit und Opferwilligkeit so Grosses vollbrachten.“ Die Deutsche Höhere Knabenschule Belgrano konnte sich damit, wenn auch noch nicht an Schülerzahl, so doch in ihrem äusseren Zuschnitt, wie auch im Aufbau des Lehrplans, der ältesten deutschen Schule in Buenos Aires, der Germania-Schule, gleichwertig zur Seite stellen.

Das Jahr 1907 bildete auch insofern einen Abschnitt in der Schulgeschichte, als ihr Mitbegründer und erster Leiter, K. F. Mayer, mit Ende des Schuljahres in die Heimat zurückkehrte. Er hatte an dem raschen Aufstieg der Schule von einem kleinen Privatzirkel zu einem wohlausgebauten, lebenskräftigen Schulorganismus unverdrossen und gewissenhaft mitgearbeitet und ihr die Wege für die spätere Entwicklung ebnen helfen.

Die nächsten fünf Jahre stellten eine gewisse Übergangszeit in der Inneren Entwicklung der Knabenschule dar. Von 1908 bis Mitte 1911 leitete Herr Dr. Joseph Schober die Anstalt, von da ab bis zum Ende des Jahres 1912 widmete ihr Dr. Hermann Bock neben seiner Tätigkeit als Professor der Geschichte am Instituto Nacional del Profesorado Secundario seine reiche Arbeitskraft als vorübergehender Leiter. Nach seiner Rückkehr in die Heimat übernahm im Jahre 1915 der frühere Rektor der Deutschen Schule in Rosario, Dr. Reinhold Gabert die Schule. Ein Jahr darauf wurden, nachdem sich Fräulein Marie Liebau am 1. September 1914 von der Leitung der Höheren Mädchenschule zurückgezogen hatte, beide Anstalten, gemäss einem mit ihr getroffenen Abkommen zu einer einheitlichen Schule verbunden, die den Namen “Belgrano-Schule“ erhielt. Diese zählte im ganzen 380 Schulkinder, nämlich: 182 Knaben und 196 Mädchen. mit einem Lehrkörper von 24 Lehrkräften. ausser dem Direktor, darunter 5 akademischen Lehrern.

Sie war nunmehr eine Doppelanstalt, wie die beiden anderen grossen deutschen Schulen in Buenos Aires, die Germania-Schule und die Deutsche Schule Buenos Aires, nämlich eine neunklassige Realschule für Knaben und eine zehnklassige höhere Mädchenschule, an die im gleichen Jahre als Ergänzung sogenannte Selektakurse in Deutscher Literatur und Geschichte, Kunstgeschichte, Spanischer Literatur, Französisch, Naturwissenschaft, Physik und Kunstgewerblichen Unterricht mit zusammen siebzehn Wochenstunden angegliedert waren, ein Versuch, der in den nächsten Jahren fallen gelassen werden musste und erst später wieder aufgenommen wurde.

Der Ausbruch des Weltkrieges stellte die Belgrano-Schule wie die übrigen deutschen Schulen in Buenos Aires vor die bange Frage, wie sie in der schweren Zeit ohne Hilfe und Zufluss aus der Heimat und bei der bedrängten wirtschaftlichen Lage, unter der das Deutschtum in Argentinien nicht zum wenigsten zu leiden hatte, würde durchhalten können. Der Wellenschlag der gewaltigen Ereignisse in Europa war auch hier in der Ferne, im neutralen Lande, zu spüren und gerade in einer deutschen Schule, die mit dem Gedeihen und den Nöten der deutschen Kolonie aufs engste verbunden war.

Zwar die Schülerzahl ging nicht zurück, wie man ursprünglich befürchtet hatte. Im Gegenteil, sie stieg während der vier Kriegsjahre auf vierhundert und mehr Kinder. Dementsprechend erhöhten sich auch die Schulgeldeinnahmen, obwohl bei der allgemeinen wirtschaftlichen Notlage die Rückstände zahlungsunfähiger Eltern immer grösser wurden (im Jahre 1918: über 14.000 $) und die Gesuche um Schulgeldermässigung oder Befreiung sich derart häuften, dass der Ausfall an Schulgeldern von 8.100 im Jahre 1914 auf über 15.000 $ im Jahre 1918 stieg. Aber zugleich wuchsen die Ausgaben in gleichem Masse. Allein für Lehrergehälter wurden im Jahre 1918 über 85.000 $ gegen 54.000 S im Jahre 1914 bezahlt.

Auch die sonstigen mannigfaltigen Beihilfen aus der deutschen Kolonie versagten in diesen schweren Jahren. So musste mit äusserster Sparsamkeit gewirtschaftet werden. An den Ausbau des Schulgebäudes war nicht zu denken, man musste zu erhalten suchen, was da war; die Lehrmittel-Sammlungen und das Mobiliar konnten nicht vermehrt werden. Ferienreisen, grössere Ausflüge, auch Schulfeste fanden nicht statt. Dass die Reichsbeihilfe während der ganzen Kriegszeit regelmässig eintraf, wusste der Vorstand als ein mit besonderem Dank empfundenes Zeichen dafür zu schätzen, dass die alte Heimat trotz ihrer eigenen schweren Bedrängnis ihre Söhne im Auslande nicht vergass, wenn auch diese Unterstützung für den immer stärker anschwellenden Haushalt der Schule materiell nur von geringer Bedeutung war. So sah sich der Vorstand zum ersten und bisher letzten Male gezwungen von seinem bis dahin streng durchgeführten Grundsatz, keine Sammlungen in der deutschen Kolonie zu veranstalten, abzuweichen. Die im Jahre 1918 veranstaltete Sammlung ergab fast 15.000 $ und ermöglichte es, das Schuljahr ohne grössere Unterbilanz abzuschliessen.
Auch sonst musste die Schule sich sehr nach der Decke strecken. Von den Lehrern war zwar nur einer, Herr Kraft, gleich zu Beginn des Krieges zur Fahne geeilt, die übrigen, die bis zum Schluss des Schuljahres 1914 blieben, fanden den Weg zur Heimat versperrt. Trotzdem trat während der vier Kriegsjahre im Lehrkörper ungewöhnlich viel Wechsel ein, und es bedurfte der besonderen Geschicklichkeit des Direktors, passenden Ersatz zu finden.

Trotz aller dieser Schwierigkeiten blieb der Wahlspruch des Vorstands wie es der Jahresbericht 1916 hoffnungsvoll, aussprach: «Plus ultra!». Ja, die Schule wagte sogar einen Schritt vorwärts, der ihr zwar von den Zeitverhältnissen nahegelegt wurde, aber doch als ein Wagnis gewertet werden muss: Da einige Schüler der Untersekunda nicht nach Deutschland gehen konnten, wurde versuchsweise im Jahre, 1917 eine Obersekunda und im nächsten Jahre eine Unterprima eingerichtet und damit von neuem der alte Plan einer Vollanstalt wieder aufgenommen.

Dass das gewaltige Ringen des deutschen Volkes seinen Widerhall auch in den Herzen der Schüler fand, durfte der Jahresbericht über das Jahr 1915 mit berechtigter Genugtuung feststellen: «Die Belgrano-Schule hat ja an und für sich den Vorzug, dass nur ein ganz geringer Prozentsatz Kinder nicht germanischer Abstammung an ihr unterrichtet wird, aber es ist bemerkenswert, wie sehr das früher manchmal überhandnehmende Spanischsprechen der Kinder seit dem Kriege verschwunden ist. Der Stolz auf die deutsche Abstammung hat da eingesetzt: Man hört auf dem Schulhof heute nur noch deutsche Laute». So ist es im Wesentlichen auch in der Folgezeit geblieben.

Auch die Befürchtungen. die in der traurigen Lage der Heimat während der ersten Nachkriegsjahre begründet waren, sind zum Glück nicht eingetreten. Die Schule wuchs wiederum an Schülerzahl. Sie konnte im Jahre 1920 einen Kindergarten einrichten, auch der Oberbau hielt sich gegenüber allen pessimistischen Voraussagen, wenn auch mit wenig Schülern, und im Jahre 1921 konnte der erste deutsche Abiturient in Südamerika die Reifeprüfung bestehen. Um die Gehälter der Lehrer zu regeln, führte die Schule 1920 gleichfalls als erste deutsche Schule in Südamerika eine feste Gehaltsordnung ein, mit steigenden Einkommen nach den Dienstjahren. Der längst beschlossene Bau einer Fest und Turnhalle wurde in Angriff genommen und im Jahre 1922 beendet.

Zur Deckung der wachsenden Unkosten unternahm der Vorstand den notwendigen Schritt, die Schulgelder zu erhöhen, der sich als ein durchaus glücklicher Entschluss bewährt hat. Als die Schule im Juli das Fest ihres 25 Jährige Bestehens feierte und zugleich die neue Festhalle einweihte, hatte sie mit 410 Schüler und Schülerinnen und einem Lehrkörper von 25 Lehrern und Lehrerinnen, einschliesslich des Direktors und der Mitleiterin der Mädchen Abteilung, den äusseren Höhestand ihrer Entwicklung erreicht. Auch die Mädchenabteilung war auf dem Wege, sich immer mehr zu einem Lyzeum nach preußischem Muster auszugestalten.

Der bisherige Direktor der Anstalt. Dr. Reinhold Gabert, war kurz vorher nach neunjähriger Tätigkeit in die Heimat zurückgekehrt. Er hat die Schule mit grossem Geschick und hervorragender organisatorischer Begabung durch die Kriegs- und Nachkriegsjahre hindurchgesteuert und die deutsche Wesensart der Anstalt erhalten und gefördert. An seine Stelle trat der Unterzeichnete als Direktor der Belgrano-Schule.

Die letzten fünf Jahre waren dem weiteren Ausbau der Schule gewidmet. Das Schulgebäude wurde im Jahre 1926 durch Hinzufügung von mehreren Klassenzimmern und drei grossen Räumen hier die praktischen Schülerarbeiten in Physik, Chemie und Naturwissenschaften erweitert und mit dem nötigen Mobiliar und Unterrichtsmaterial ausgestattet. Allein für die Anschaffung neuer Schulbänke wandte der Vorstand auf Anregung des Jetzigen Vorsitzenden in zwei aufeinander folgenden Jahren lieber 12.000 $ m/n auf. Neue Lehrkräfte wurden von Drüben verpflichtet und der Lehrplan nun vollständig nach dem einer deutschen Oberrealschule und eines Mädchenlyzeums einschliesslich einer einjährigen «Frauenschule“ eingerichtet. Neben dem pflichtmäßigen Unterricht gingen wahlfreie Kurse einher, wie Werkunterricht für Knaben und rhythmische Übungen für Mädchen, Spielen und Schwimmen für die gesamte Schule, sowie Schiessunterricht für die älteren Schüler zur Vorbereitung auf den Heeresdienst, praktische Übungen und Ausflüge in Biologie, deutsche und spanische Zusatzstunden und eine Reihe von Kursen für junge Mädchen im Sinne einer Volkshochschulbildung. Im Jahre 1924 erhielt die Schule als bis jetzt einzige deutsche Schule in Südamerika von der Reichsregierung die Anerkennung als vollberechtigte Oberrealschule.

Die schon früher erörterte Frage, wie weit sich die Belgrano-Schule dem argentinischen Schulwesen anschliessen solle, war in den ersten Jahren nach dem Kriege, wie an allen deutschen Schulen in Südamerika, in den Brennpunkt des Interesses gerückt; sie bedurfte unbedingt einer Lösung. Es ist die Frage der sogenannten «Verländerung» des Deutschtums im Ausland, die jetzt auch in Deutschland mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt wird.

Der unglückliche Ausgang des Weltkrieges hatte die Lage des Deutschtums im Ausland gegen früher doch wesentlich verändert. Hatte sich dieses schon während des Krieges ganz auf eigene Füsse stellen müssen, so wurde das Gefühl, dass man auf sich selbst angewiesen sei, nun noch verstärkt. Die neuen Zustände in der Heimat schienen ihm fremd und z.T. unverständlich, der früher so enge Wechselverkehr mit ihr war eingeschränkt, man dachte nicht mehr so leicht daran, wieder nach “drüben“ zurückzukehren, oder gar seine Kinder dorthin zur weiteren Ausbildung zu schicken, ehe die wirren Verhältnisse dort nicht geklärt wären. Man glaubte sich also für längere Zelt, wenn nicht für immer, hier einrichten zu müssen. Dazu drückte die wirtschaftliche Krisis stark auf jede Familie. Die Lebensbedingungen waren ungünstiger, der Wettbewerb schärfer geworden. Man musste dafür sorgen, die Kinder, vor allem die Söhne, für ihr künftiges Fortkommen im Lande so gut wie möglich auszurüsten.

Dazu kam ein, wenn auch leiser, so doch fühlbarer äusserer Druck. Die Landesschulbehörden hatten das von ihrem Standpunkte aus gewiss berechtigte Bestreben, die heranwachsende Jugend bei der erwarteten stärkeren Einwanderung enger und schneller im Lande zu verwurzeln und bestanden daher mit grösserem Nachdruck darauf, dass an den Privatschulen wenigstens das Mindestmass dessen erfüllt würde, was von einem künftigen argentinischen Staatsbürger zu verlangen war: eine gründliche Kenntnis der Landessprache und Landeskultur.

So wuchs auch unter den Deutschen in Argentinien, wie begreiflich, die schon früher vorhandene Neigung, ihren Kindern den Weg für ihre spätere Laufbahn im Lande mehr zu ebnen, ja, es wurde sogar vielfach ein vollständiger Anschluss an das Landesschulwesen mit Aufgabe des deutschen Lehrplans gefordert.

Soweit diese Forderungen nur vorübergehende Stimmungen waren, hätte man füglich darüber hin wegsehen können. Aber sie waren mehr als das. Sie entsprangen aus Lebensbedürfnissen, die wohl schon früher hie und da vereinzelt gefühlt waren, nun aber bei der veränderten Lage geradezu als notwendig angesehen wurden. Wenn schon die eingewanderten Deutschen es nützlich fanden, ihre Kinder für alle Fälle mehr auf das argentinische Leben einzustellen, so war dies für die länger, vielleicht schon in der zweiten oder dritten Nachkommenfolge im Lande Ansässigen, die Deutschargentinier, eine Frage von entscheidender Bedeutung. Gerade sie. denen für ihre Kinder keine andere Wahl blieb, empfanden es von Jahr zu Jahr drückender, dass die deutschen Schulen diesen den Weg für den Lebensberuf nicht mehr erleichterten, und trotz aller Schätzung deutscher Sprache und Kultur schlug die Wage für Entscheidung in Zweifelsfällen meist nach jeder argentinischen Seite aus.

Wollte man diese breite Schicht, die für die Verbindung von deutschem und argentinischem Wesen von unersetzlicher Bedeutung war und die zudem an Zahl immer mehr zunahm, den deutschen Schulen erhalten, so blieb keine andere Wahl, als die. ihren berechtigten Wünschen nach Möglichkeit entgegenzukommen. Nicht im Sinne einer Halbheit oder eines üblen Kompromisses, sondern einer entschlossenen Gleichbewertung und Gleichstellung der beiden Sprach- und Kulturgebiete und im praktischen Betriebe dadurch, dass man es den Kindern ermöglichte, zunächst einmal die Abschlussprüfung des Volksschulunterrichts (Examen General de Enseñanza Primaria), die für die einfacheren Berufe und für das weitere Studium auf höhere Staatsschulen in Argentinien unerlässlich ist.

Für eine höhere Schule, wie die Belgrano-Schule, fügte sich hierzu noch ein zweiter Gesichtspunkt. Gerade die immer schwieriger werdende Wirtschaftliche Lage brachte es mit sich, dass sich Söhne deutscher oder deutschargentinischer Eltern mehr als früher den akademischen Berufen zuwandten. Solange sie vorwiegend in das kaufmännische Leben eintraten, war die bessere Ausbildung, die sie an unserer Schule in neueren Sprachen, Rechnen und Mathematik erhielten, ihnen wertvoller, als das Ablegen argentinischer Prüfungen. Für die akademischen Berufe aber, einschliesslich der höheren kaufmännischen Ausbildung, waren diese das einzige Durchgangstor zum Universitätsstudium. Auch dieser Zugang musste ihnen also geöffnet werden; denn aus ihren Reihen sollten einst, wie dies in Chile schon seit langem geschieht. Männer hervorgehen, die auch im öffentlichen Leben eine führende Stellung innehätten. Männer, die durch deutsche Bildung gegangen wären und dieser auch in ihrem späteren Wirken zu Gunsten des Heimatlandes ihrer Vorfahren Geltung verschaffen würden.

Aus solchen Gründen entschloss sich der Vorstand nach reiflicher Erwägung zu einer teilweisen Umstellung des Bildungszieles und seiner praktischen Durchführung.

Seit dem Jahre 1925 legen die Schüler der Untertertia und die Schülerinnen der dritten Klasse alljährlich vor einer staatlichen Prüfungskommission in der Schule, also nicht mehr wie früher, als “alumnos libres“, die Abschlussprüfung der argentinischen Volksschule ab, und eine Anzahl Obertertianer und Untersekundaner, die dies wünschen, werden lehrplanmässig oder in besonderen Stunden für die Jahresprüfungen des ersten und zweiten Schuljahres des Colegio Nacional vorbereitet.

Zu weiteren Zugeständnissen hat sich die Schule nicht entschließen können. Sie hat nicht den Weg beschritten, den die beiden anderen deutschen höheren Schulen in Buenos Aires gegangen sind: sich einem argentinischen Nationalkolleg “inkorporieren“ zu lassen d.h. seinen Lehrplan vollständig zu übernehmen und sich unter die Aufsicht der höheren Schulbehörde zu stellen. Sie brauchte ihn nicht zu gehen, da die überwiegende Zahl ihrer Schüler, mehr als 90%. deutscher Sprache sind und es ihr aus diesem Grunde bisher möglich geworden ist, trotz der argentinischen Anforderungen den deutschen Lehrplan durchzuführen, und sie wird diese Richtung weiterverfolgen, solange ihr dies nach der Zusammensetzung ihrer Schüler, den Wünschen der Mehrheit der Eltern und dem guten Geist ihrer Überlieferung nur irgend möglich ist. Dass sich die Schule damit eine grössere Belastung auferlegt als sie die deutschen Heimatschulen tragen, ist nicht zu leugnen. Sie hat sie aber bis jetzt ohne Schaden für Ihre Schüler getragen und wird sie auch weiter tragen können, solange die Eltern die Lehrerschaft unterstützen, da die verhältnismässig geringe Schülerzahl in den oberen Klassen ein eingehenderes Durcharbeiten des Lehrstoffs im Unterricht erlaubt, als dies bei stärker besetzten Anstalten in Deutschland möglich ist. Sie ist der Überzeugung, dass ein strafferes Heranziehen den Schülern gerade hierzulande, wo Klima und Lebensauffassungen zu einer schlafferen Erziehung verführen, von Nutzen und ein wesentliches Glück ihrer sittlichen Erziehung ist. Es darf wohl einmal darauf hingewiesen werden, dass die ehemaligen Belgrano-schüler sowohl in den Colegios Nacionales, wie auch an höheren Schulen in Deutschland recht tüchtig ihren Mann gestanden haben. Dass keine Überbürdung der Schüler eintritt. darauf ist das dauernde Bemühen der Schulleitung und der Lehrerschaft gerichtet.

Auch die Mädchenabteilung der Belgrano-Schule ist diesem Entwicklungsgang gefolgt. Bis zur dritten Klasse geht sie Im Unterricht der Knabenabteilung gleichlaufend: denn auch für die Mädchen ist der Abschluss der Volksschulbildung durch die genannte Prüfung von Wert und die Unterschiede einer besonderen Ausbildung machen sich erst später geltend. Von der zweiten Klasse ab wird auf diese mehr Rücksicht genommen; die beiden oberen Mädchenklassen, die erste Klasse und die Frauenschule, weichen von den gleichlaufenden Knabenklassen, Untersekunda und Obersekunda, dadurch ab. dass in ihnen mehr Gewicht auf eine literarisch-sprachliche, geschichtliche und ästhetische Bildung gelegt wird, während die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer mehr zurücktreten.

Da sich in letzter Zeit die Zahl der jungen Mädchen vermehrt hat, die Ihre Bildung bis zum Abschluss einer höheren Schule, also bis zur Reifeprüfung fortzusetzen wünschen, so ist ihnen die Möglichkeit geboten, von der ersten Klasse in die Obersekunda überzugehen. Die Erfahrungen, die im Unterricht und bei den Prüfungen gemacht werden, haben bewiesen, dass sie wohl imstande sind, mit ihren Klassengenossen in Obersekunda und Prima Schritt zu halten. Um so mehr wird dies in Zukunft der Fall sein, da die Lehrpläne beider Abteilungen seit den letzten Jahren auf diesen Übergang immer mehr eingestellt worden sind.

Die Frauenschule war ursprünglich als Abschluss der Mädchenbildung nach dem Muster der gleichnamigen Anstalten in Deutschland gedacht, also für solche junge Mädchen bestimmt, die sich nicht einem praktischen Lebensberuf zuwenden wollten. Es waren daher in ihren Lehrplan Fächer, wie Haushaltungskunde, Gesundheitslehre, Nahrungsmittellehre und Kochunterricht eingefügt. Die Erfahrung hat gelehrt, dass eine solche Ausbildung für die an unserer Schule bestehenden Bedürfnisse nicht den Wert hat, wie eine gründlichere Vervollkommnung der allgemeinen Mädchenbildung. Auf Wunsch der Eltern selbst wurde daher der Lehrplan in diesem Sinne umgeändert und die genannten Fächer besonderen Lehrgängen zugewiesen, für die sich die jungen Mädchen nach Abschluss der Frauenschule einschreiben können. So entspricht der Name nicht ganz ihrer jetzigen Einrichtung. In Wirklichkeit ist die Frauenschule der obersten Klasse einer zehnklassigen Mädchenschule gleichzuachten. Die Belgrano-Schule ist also auch in dieser Beziehung jetzt den deutschen Lyzeen gleichwertig.

Ein Wort der Erwähnung verdient noch der Kindergarten. Er wird häufig als ein unwesentliches Anhängsel der Schule betrachtet, das auch sehr wohl fehlen könnte. Diese Auffassung wird seiner Bedeutung nicht gerecht. Der Kindergarten hat sich immer mehr zu einem organischen Bestandteil der Belgrano-Schule entwickelt, der von ihr nicht mehr zu trennen ist. Er ist es nicht nur, weil hier die Kleinen im heiteren Spiel und fröhlicher Ungebundenheit unmerklich für die Ordnung und den Ernst der Schule vorgebildet werden, sondern auch darum, weil er einer Anzahl nicht deutsch-sprechender Kinder ein willkommenes Heim bietet, die hier im Zusammenleben mit ihren kleinen deutschen Kameraden unsere Sprache und Art kennen lernen. Gerade er wird von angesehenen argentinischen Familien Belgrano´s gern beschickt. Nicht alle dieser Kinder gehen von ihm zur Schule über. Die eintretenden bilden den besten Stamm unserer rein argentinischen Schulkinder, sie sind, wie auch die deutschen Kinder, die den Kindergarten besucht haben, ihren übrigen Klassengenossen in der Nona und 9. Klasse in der Entwicklung meist voran und erleichtern uns dadurch den schwierigen Anfangsunterricht. Aber auch die nicht in die Schule eintretenden sind für uns von Wert. Der Kindergarten ist eine freundliche Pflanzstätte für die Sympathien, die die argentinische Bevölkerung in Belgrano unserer Schule entgegenbringt. Er sollte noch mehr besucht werden, als es jetzt schon geschieht.

Ohne auf weitere unwesentliche Einzelheiten einzugehen, mag zusammenfassend gesagt werden:

Die Belgrano-Schule ist heute eine vollausgebaute Oberrealschule und Mädchenlyzeum nach deutscher Art und zugleich, wie ihr dies nach argentinischem Gesetze zur Pflicht gemacht wird, eine Vorbereitungsschule für den künftigen Beruf im Geburtslande der Mehrzahl ihrer Schüler. Sie bestrebt sich, bis zum Abschluss des 7. Schuljahres d.h. der hiesigen Volksschulbildung, die deutschen wie die argentinischen Anforderungen gleichermassen zu erfüllen, legt aber in den darauf folgenden Klassen, besonders im Oberbau der Knabenabteilung von Obersekunda bis Oberprima und von der zweiten Mädchenklasse bis zur Frauenschule, den Hauptnachdruck auf die deutsche Ausbildung, ohne die argentinische zu vernachlässigen, in der Überzeugung, dass es wenigstens eine Schule in Argentinien geben müsse, die der deutschen und deutsch-argentinischen Jugend die volle deutsche Schulausbildung zu Teil werden lässt, auch wenn sie nicht gerade in Deutschland studieren will. Sie glaubt damit ebenso sehr, wenn nicht mehr zum Besten der deutschen Heimat, wie des Deutschtums in Argentinien zu arbeiten und die Aufgabe, die man billigerweise an eine deutsche Auslandsschule stellen kann, in ihrem Umkreise und nach ihren Kräften zu erfüllen.

Welche Schwierigkeiten eine deutsche Auslandschule zu bewältigen hat, um diese ihre Aufgabe zu erfüllen, welche äusseren und inneren Fragen sich daraus ergeben, ist an anderer Stelle behandelt worden. Ich darf hier auf den Aufsatz “Die inneren Fragen des deutschen Schulwesens in Argentinien» verweisen, den ich im zweiten Bande des Sammelwerkes von Schmidt & Boelitz “Aus deutscher Bildungsarbeit im Ausland“ veröffentlicht habe. Nur auf einige Punkte sei noch hingewiesen, die die Belgrano-Schule im besonderen kennzeichnen.

Der Lehrplan der Belgrano-Schule ist zwar nach deutschem Muster gestaltet, im einzelnen aber mehrfach abweichend. Die Schule ist. wie alle deutschen Schulen in Argentinien, zweisprachig. Auch die zu Hause deutsch-sprechenden Schüler müssen das Spanische und zwar nicht als Fremdsprache, sondern als zweite Muttersprache vollkommen beherrschen. Es geht vom ersten Schuljahre bis zur Oberprima und Frauenschule mit einer beträchtlichen Stundenzahl durch die ganze Anstalt hindurch. Die deutsche und die argentinische Kulturkunde (Sprache, Geschichte, Landeskunde und Bürgerkunde) bilden bis zum siebenten Schuljahre gleichwertige Unterrichtsgruppen, von da ab überwiegt, wie schon gesagt, das Deutsche.

Dazu treten als Fremdsprachen, entsprechend der hauptsächlichen Ausbildung der Schüler für die kaufmännischen und technischen Berufe, das Englische und Französische, letzeres als wahlfreier Unterrichtsgegenstand, der jedoch für die Schüler, die zu den argentinischen Schulen übergehen wollen, unentbehrlich ist. An dieser starken sprachlichen Belastung trägt die Schule, wie die anderen deutschen Schulen hierzulande, schwer, es ist aber unmöglich, sie ihr abzunehmen.

Dass daneben die Ausbildung in den formalen und sachlichen Fächern, sowie im Turnen, Singen, Zeichnen und Hausarbeit nicht zu kurz kommt, ist die ständige Sorge der Leitung und de§ Lehrkörpers, das Ziel, um das dauernd gekämpft werden muss. Zu erreichen ist es nur durch ein kräftiges Abstossen alles überflüssigen und ein bewusstes und vertieftes Herausarbeiten des Wesentlichen. So darf die Schule in ihren Anforderungen und Leistungen nicht mechanisch nach dem Muster der deutschen Lehrpläne beurteilt werden, sie verlangt nach ihrem eigenen Massstabe d.h. nach den besonderen Bedürfnissen, die sie zu erfüllen hat, gemessen zu werden. Ganz besonders gilt dies von der Reifeprüfung, die das Siegel auf die Güte ihrer Ausbildung drücken soll. Gleichwertigkeit ihrer Leistungen mit denen deutscher höhererSchulen, nicht Gleichartigkeit muss ihre Losung sein. Was den Schüler vielleicht an positivem Wissen auf einzelnen Gebieten und an vertiefter Gemütsbildung abgeht, ersetzen sie auf anderen, vor allem durch grössere geistige Beweglichkeit, raschere Auffassungsgabe und Klarheit des Blicks für das Verständige und Praktische, wie sie den Auslanddeutschen überhaupt eigen sind. Schwärmerische und verträumte Naturen kommen im Ausland wenig auf, ihre Rechnung, wohl aber klare Wirklichkeitsmenschen, die, wenn nötig. ihre Ellenbogen zu gebrauchen wissen. Kommt dazu noch die Wertschätzung deutscher Kultur und Sprache und ein Sinn, der für Hohes und Schönes aufgeschlossen ist, so darf die Schule mit ihrer Arbeit zufrieden sein. Dahin strebt auch die Belgrano-Schule. und darum vor allen liegt ihr daran, ihre Schüler möglichst bis zu der vollendeten Ausbildung zu führen, die eine deutsche Schule geben kann: zur Reifeprüfung und zum Abschluss der Mädchen-Bildung in der Frauenschule.

Zum Schluss mögen noch einige Bemerkungen über statistische und wirtschaftliche Verhältnisse der Belgrano-Schule nicht ohne Belang sein. Die Schülerzahl einschliesslich des Kindergartens hatte im Jahre 1925 ihre Höchstzahl mit 501 Schüler und Schülerinnen erreicht; im Jahre 1926 betrug sie 496. Von Diesen waren ihrer Staatsangehörigkeit nach 119 Reichsdeutsche, 565 Argentinier, 3 Österreicher, 7 Schweizer und 2 Norweger; ihrer Muttersprache nach 466 Deutsch-sprechende, 30 nicht Deutsch-sprechende. In der eigentlichen Schule mit Ausnahme des Kindergartens war das Verhältnis der Deutsch-sprechenden zu den nicht Deutsch-sprechenden 446:21, d. h. nur etwas über 4,5% sämtlicher Schüler sprechen von Haus aus nicht deutsch, ein Verhältnis das für eine deutsche Auslandschule gewiss als außergewöhnliche günstig zu bezeichnen ist. Die deutsche Wesensart der Schule ist schon in diesen Zahlen deutlich ausgedrückt.

Der Lehrkörper bestand 1926 aus dem Direktor, der Vorsteherin der Mädchenabteilung, 21 vollbeschäftigten Lehrkräften, einer Kindergärtnerin und 8 Hilfslehrkräften. Von den vollbeschäftigten Lehrkräften waren 17 deutsche, 4 argentinische, von den Hilfslehrkräften, die mit nur wenig Stunden beschäftigt sind, 2 deutsche, 4 argentinische, eine englische und eine französische.

In den Räumlichkeiten und deren Ausstattung sowie in den Lehr- und Anschauungsmitteln kann die Schule, nachdem in den letzten Jahren grosse Anschaffungen gemacht worden sind, den Vergleich mit gleichwertigen Anstalten wohl aushalten. Sie besitzt zur Zeit einen grossen Fest-und Turnsaal (25:15 m gross) mit Bühnenvorrichtung, in dem 800 Personen Platz finden, einen kleineren Saal für etwa 100 Personen, der als Gesang- und-Vortragssaal dient und mit Klavier, Harmonium und einem Lichtbilder- und Epidiaskopapparat ausgestaltet ist, einen geräumigen Zeichensaal, 21 Klassenzimmer, ein gemeinsames Unterrichtszimmer für Physik und Chemie und je zwei Räume für die Sammlungen und die praktischen Schülerarbeiten dieser Fächer, ein Zimmer für die naturwissenschaftliche Sammlung, ein Kartenzimmer, zwei Räume für den Kindergarten, zwei für den Werkunterricht, die nötigen Verwaltungsräume (Direktor- und Vorsteherinzimmer, Lehrerzimmer und Geschäftsstelle) und die Wohnung des Hauswarts, die ein Schulhof für die Knaben- und Mädchenabteilung und ein kleinerer für den Kindergarten vervollständigen die Baulichkeiten. Die hygienischen Einrichtungen sind von dem argentinischen Gesundheitsamt als mustergültig anerkannt. Ein besonderer Vorzug der Schule, auch vor argentinischen Schulen, besteht darin, dass sie eine Heizungseinrichtung (Wasserheizung) besitzt.

Wenn von deutschen Auslandschulen geredet wird, so handelt es sich für gewöhnlich um den Lehrplan und Unterrichtsbetrieb und um die Leistungen von Lehrern und Schülern. Was weniger beachtet wird, ist, dass jede Schule erst einmal leben muss, um arbeiten zu können, und dass ihr das im Ausland sehr viel schwerer wird, als in der Heimat, wo Staat und Gemeinde für sie sorgen. Eine deutsche Schule im Ausland ist im Sinne der Landesgesetze eine Privatschule, nach deutscher Auffassung eine Vereinsschule, die von dem Schulverein, in letzter Linie also von der deutschen Kolonie, erhalten wird. Was von dieser an Opfern gebracht wird und was in stiller, oft undankbarer und mühevoller Arbeit ehrenamtlich von den Vorständen der deutschen Schulen geleistet wird, das bildet die Grundlage, auf der sich ein gesundes, gedeihliches Wirken der Lehrerschaft aufbaut.

Die Belgrano-Schule hat in den dreissig Jahren ihres Bestehens stets dahin gearbeitet, die Kosten des Schulbetriebs selbst zu bestreiten, ohne auf Zuschüsse aus der deutschen Kolonie zurückzugreifen. Es ist ihr dies, abgesehen von der einen oben erwähnten Ausnahme während des Krieges, bis letzt auch stets gelungen. Das bedeutet, dass die laufenden Ausgaben des Schulbetriebs im wesentlichen durch Schulgelder und Mitgliederbeiträge gedeckt werden müssen.

Nun ist der Haushalt der Schule in den letzten Jahren beständig gestiegen. Im Jahre 1926 erreichte er die Höhe von etwa 160.000 argentinischen Pesos. Davon fallen allein auf Gehälter für Lehrer, Beamte und Dienstpersonal über 120.000.-, der Rest auf Lehrmittel, allgemeine Unkosten und Zinsendienst für die Hypothekenschuld. Die Einnahmen aus Schulgeldern betrugen etwa 140.000 Pesos, die aus Beiträgen der Mitglieder der Schulvereinigung etwas über 8.000 Pesos, das übrige wurde durch das alljährliche Schulfest und freiwillige Schenkungen aufgebracht, sowie durch Einnahmen aus den wahlfreien Lehrgängen, Saalmiete, Verkauf von Schulbüchern und Heften u.a.

Gegen 160.000 Pesos! Das ist die Last, die alljährlich auf der Schulvereinigung liegt, um die Schule im Gang zu erhalten. Für die Eltern allein bedeutet das bei etwa 500 Kindern ein monatliches Schulgeld von durchschnittlich über 25 $, also eine Schulsteuer in einer Höhe, wie sie in Deutschland ganz unmöglich wäre. Dazu ist zu bemerken, dass etwa 15-20% der Kinder ermässigtes Schulgeld zahlen oder Freistellen haben, da die Schule es als eine Ehrenpflicht ansieht, unbemittelte deutsche Kinder nicht zurückzuweisen, und dass alljährlich ein nicht geringer Ausfall an Schulgeldern durch längere Abwesenheit von Kindern auf Reisen und durch Zahlungsschwierigkeiten der Eltern entsteht. Dementsprechend müssen natürlich die Schulgelder der vollzahlenden Eltern noch höher angesetzt werden. In der Tat zahlen diese für Schüler der unteren Klassen (Nona bis Quarta) $ 22 – 55, in den mittleren Klassen $ 40 – 50 und in den Oberklassen (Obersekunda bis Oberprima) $ 60 – 70 monatliches Schulgeld.

Wenn ich diese Summen, die Jahr für Jahr in annähernd gleicher Höhe aufzubringen sind, hier in grossen Zügen vorführe, so geschieht es zu dem Zweck, auch Fernstehenden einmal ein Bild davon zu geben, was eine grosse deutsche Auslandschule zu leisten hat, um ihren Betrieb aufrecht zu erhalten. Der argentinische Peso ist zur Zeit gleich etwa 1.67 RM, sein Kaufwert kann der Reichsmark gleichgesetzt werden.

Dabei muss allerdings gesagt werden, dass die Belgrano-Schule ihrem Ausbau und ihren Bedürfnissen nach von allen deutschen Schulen in Südamerika die schwerste Last trägt. Sie ist keineswegs eine Schule der Reichen und noch weniger eine reiche Schule. Allein die Tatsache, dass sie abgesehen von den ständig wachsenden jährlichen Ausgaben für Lehrergehälter und laufende Unkosten, eine Hypothekenlast von 220.000 $ und dazu noch für 47.000 $ Schuldverschreibungen zu tragen hat, die ihr insgesamt über 15.000 $ jährlicher Zinszahlung auferlegt, mag als Beleg hierfür genügen. Andere deutsche Schulen sind auch darin erheblich besser gestellt. Nur eine sehr gewissenhafte Aufstellung des Haushalts, eine wohlüberlegte Sparsamkeit und eine sorgfältige Kassenführung haben es ihr bis jetzt, vor allem auch in den letzten Jahren, wo sich die notwendigen Ausgaben besonders stark häuften, ermöglicht, ihren Haushalt im Gleichgewicht zu halten. Sie darf daher wohl in gleicher Weise, wie die übrigen deutschen Schulen, das Wohlwollen und die Unterstützung der deutschen Kolonie in Buenos Aires für sich beanspruchen.

Und noch eins mag hinzugefügt werden:

Die Leistung der Schulvereinigung und der Eltern, die sich in den oben angeführten ansehnlichen Ziffern ausspricht, ist um so höher anzuschlagen, wenn man bedenkt, dass der Schulbesuch in den argentinischen staatlichen Volksschulen ganz unentgeltlich ist, dass an höheren Schulen nur ein Einschreibegeld und verhältnismässig geringe Prüfungsgebühren bezahlt werden, und dass die Schüler argentinischer Anstalten eine Reihe von Erleichterungen und Vorteile gemessen, die einer nicht staatlichen Schule abgehen. Das wird daher wohl in Rechnung gezogen werden müssen, wenn man in der Heimat oft darüber erstaunt ist, dass deutsche Eltern ihre Kinder nicht ausnahmslos in die deutsche Schule schicken.

In dieser Form und mit diesen Einrichtungen tritt die Belgrano-Schule nun in das vierte Jahrzehnt ihres Bestehens. Ihr bisheriger Weg war ein Aufstieg von einer kleinen Privatschule zu einer grossen vollausgebauten Doppelanstalt, der typische Gang, den auch andere deutsche Schulen im Ausland unter normalen Verhältnissen genommen haben, nur dass die Belgrano-Schule vielleicht vor anderen durch die Verhältnisse mehr begünstigt worden ist. Ein solcher Vorzug aber verpflichtet! Die Belgrano-Schule, Vorstand, Leitung und Lehrerschaft, ist sich bewusst, dass sie heute im deutschen Auslandschulwesen an sichtbarer Stelle steht. Es sind mehr Blicke, als früher auf sie gerichtet. Sie wird daher immer mehr bestrebt sein, eine wahre deutsche Auslandschule zu bleiben, d.h. eine Schule deutscher Kultur zum Segen für ihre Schüler, für die deutsche Heimat und für das Land Argentinien, das sie gastfrei beherbergt. Ihr weiterer Fortschritt wird, wie bisher, von dem verständnisvollen Zusammenwirken der Elternschaft, des Vorstandes und des Lehrkörpers abhängen.

Ihr Leitspruch sei der im Jahresbericht 1916 ausgesprochene: “Plus ultra!“